„Jana, wir müssen los, Schuhe anziehen! Wir sind spät dran, schon gleich halb acht!“ Ein Blick aus dem Fenster. Oh, noch gar nicht richtig hell und außerdem nieselt es so scheußlich, da sollte ich Jana wohl am besten mit dem Auto zur Schule fahren. Ach, da drüben läuft der kleine Paul vorbei. Hm – der geht bereits seit letztem Frühjahr alleine zur Schule. Ist ja eigentlich auch richtig so, habe ich als Kind schließlich auch gemacht. Da war allerdings noch weniger Verkehr. Naja, genau genommen fahren hier bei uns in der Siedlung auch nicht viele Autos. Und an der einzigen Straßenüberquerung steht immer ein Schulweghelfer. Vielleicht sollten wir Jana doch auch langsam zutrauen, den Schulweg alleine zu meistern. Wir könnten ja nach den Weihnachtsferien damit anfangen. Oder lieber doch erst im Frühling?
Kennen Sie auch viele dieser Überlegungen und haben sich mehrmals gefragt, wann Ihr Kind reif ist, um alleine in die Schule zu gehen? Vor dieser Entscheidung stehen irgendwann alle Eltern. Und sehen meist sofort jede Menge Gefahren lauern: die einmündende Querstraße, die vielen Garagen-Ausfahrten, die vielen Ablenkungen auf der Strecke, die zum Trödeln verführen und jetzt im Herbst auch noch die Dunkelheit, in der kleine Fußgänger schnell mal übersehen werden.
Nur Mut! Die schaffen das!
Genauso gut gibt es aber auch gewichtige Gründe, weshalb es richtig und wichtig ist, bereits Erstklässlern den Schulweg ohne elterliche Begleitung zuzutrauen.
Es stärkt das Selbstvertrauen der Kids ungemein, es fördert ihre Selbstständigkeit und es vermittelt ihnen die Sicherheit, bestimme Dinge alleine meistern zu können. Sie lernen, ihre Zeit besser einzuschätzen und können Verkehrsregeln einüben. Dies alles sind Fähigkeiten, die sie früher oder später sowieso benötigen. Und wer nicht täglich mit dem Auto zur Schule gebracht wird, sondern dafür seine Füße in Bewegung setzen muss, hat auch gleich etwas für seine Körperwahrnehmung sowie seine Muskeln und Sehnen getan und wird spätestens jetzt so richtig wach und munter. Umweltfreundlicher ist es obendrein, zu Fuß zu gehen. Auch hier übernehmen Sie – wie so oft im Elternleben – eine Vorbildfunktion!
Gut geübt ist halb gewonnen
Der beste Einstieg in das neue Zeitalter des emanzipierten Kindes ist es, den Schulweg gemeinsam aktiv einzuüben. Das schenkt beiden Seiten Sicherheit: Kinder merken, was sie können und Eltern erfahren, dass ihre Kids sehr wohl am Zebrastreifen stehen bleiben und dass sie auch nicht orientierungslos nach links oder rechts abbiegen, obwohl der Schulweg geradeaus führt. Drehen Sie die Rollen um: Jetzt sind Sie derjenige, der einfach nur nebenher mitläuft, während Ihr Kind die Richtung, die Geschwindigkeit und den richtigen Zeitpunkt für das Überqueren der Straße vorgibt. Greifen Sie nur dann ein, wenn es wirklich gefährlich werden könnte. Statt zu agieren, können Sie Ihr Kind einfach nur beobachten und Sie werden wahrscheinlich verblüfft feststellen, dass es sich viel vorsichtiger und aufmerksamer verhält, als sie dachten. Der nächste Schritt könnte sein, Ihr Kind nur noch bis zu einer bestimmten Stelle zu begleiten und es dann den Restweg alleine gehen zu lassen, sozusagen ein schrittweises Loslassen vorzunehmen.
Echte Teamarbeit
Höchstwahrscheinlich gibt es in Ihrer Nachbarschaft noch ein paar Kinder, die den gleichen Schulweg haben und sich zusammentun können. Vielleicht gibt es ja bereits eine solche Gruppe. Hören Sie sich um und fragen Sie diese Kinder und deren Eltern, ob ihr eigenes Kind sich anschließen darf. Voraussetzung ist allerdings Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit – und zwar für alle Beteiligten! Sie können nicht erwarten, dass die anderen Schülerinnen und Schüler regelmäßig auf Ihr Kind warten müssen und dadurch selbst in Verzug kommen. Ist Ihr Kind krank und bleibt deshalb zu Hause, informieren Sie bitte rechtzeitig ein anderes Kind aus der Gruppe, damit jeder Bescheid weiß und niemand umsonst wartet.
Eine solche Schulweg-Truppe erhöht zum einen die Sicherheit, weil eine ganze Kinderschar viel mehr Sichtbarkeit ausübt, als ein einzelnes Kind. Zum anderen findet eine Art positive soziale Kontrolle statt: Kleine Trödler werden mitgezogen, allzu Leichtsinnige ausgebremst.
Ein Bus auf Füßen
In vielen Städten und Gemeinden gibt es auch den sogenannten Laufbus, einen Schulbus auf Füßen: Eine Gruppe von Kindern geht zusammen zur Schule und wird dabei von einem oder mehreren Erwachsenen begleitet, bis die Gruppe sicher genug ist, um alleine zu laufen. Die Eltern wechseln sich als Laufbusbegleitung ab. Das spart allen Zeit. Wie ein Schulbus hat der Laufbus Haltestellen bzw. Treffpunkte und einen Streckenplan, die gemeinsam von Eltern, Lehrern und Kindern festgelegt werden. Aber auch hier sollte das Ziel sein, die Kids irgendwann gänzlich ohne Begleitung von Erwachsenen zur Schule gehen zu lassen.
„Oh je, Jana, jetzt war ich so in Gedanken, nun müssen wir auf jeden Fall das Auto nehmen, sonst kommst du zu spät! Was sagst du? Du möchtest endlich wie deine Freundinnen ohne mich zur Schule gehen? Das ist ja … also, äh … super!“